Diese Frage führte Daniela Döring in “Face the Fact. Wissenschaftlichkeit im Portrait“. Die Ausstellung ist noch bis zum 3. März in der Kunstsammlung der Universität Göttingen zu sehen. Die Kulturwissenschaftlerin hat sie für uns besucht.
Face the fact!
So der Titel der Ausstellung über Selbstdarstellungen, Bildnisse und Porträts Göttinger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Er ruft mir zu, der Tatsache ins Auge zu sehen! Welcher Fakt ist gemeint? Es ist eine Tatsache mit vielen Gesichtern, handelt es sich doch um einen Rundgang durch historisch gewachsene und verschiedene Vorstellungen wissenschaftlicher Tugenden und Expertisen. Die Ausstellung fragt danach, welche Selbstverständnisse und Ideale von Gelehrsamkeit, Autorität und Wissenschaftlichkeit im Porträt repräsentiert werden und welche Formen der Teilhabe, Ausgrenzungen und Machtachsen das akademische Feld selbst prägen.
So steckt im Begriff der Repräsentation nicht nur der Modus der Stellvertretung, sondern auch die performative Kraft der Darstellung. Repräsentationen sind nicht allein Abbilder gesellschaftlicher Wirklichkeiten, vielmehr liegen ihnen bestimmte historisch-kulturelle Bedingungen zugrunde. Dass Gelehrsamkeit durch Insignien, Symbole und Inszenierungsweisen überhaupt erst hergestellt wird, macht gleich das erste Bildnis von Abraham Gotthelf Kästner klar, in dem Stift, Lineal und Zirkel diese be- und erzeugen. Eine Notiz im Porträt fordert mit einem Augenzwinkern dazu auf, der Nachwelt ein gutes Bild zu hinterlassen, der Blick der Betrachtenden ist demnach immer schon eingeschrieben. Was also sehe ich, wenn ich sehe? Was soll ich sehen? Und was ist nicht sichtbar?
Face the gap!
Es empfängt mich eine wuchtige Wand voller Professorenporträts im Stil adeliger Ahnengalerien. Die altehrwürdigen Männer sind in Amtstracht und vor dunklem Hintergrund dargestellt, ihre individuellen Züge kommen angesichts der einheitlichen Inszenierung umso mehr zum Vorschein. Doch klaffen Lücken in der Galerie. Die Leerstellen sind sogar beleuchtet und erscheinen als blinde Flecken in der Geschichte: Frauen, die lange Zeit nicht zum Studium zugelassen waren, People of Colour, die nicht vorkommen, Menschen jenseits gehobener Schichten und Klassen.
Look at this!
Die daneben ausgestellten Grafiken entsprechen dem klassischen Porträtstil und ergänzen diesen durch das Buch und den Fingerzeig. Die Kupferstiche des in Augsburg verlegten “Bilder-sal heutiges Tages lebender und durch Gelehrtheit berühmter Schriftsteller” fallen mir dadurch auf, dass sie das Zeigen zeigen. Hände umschließen, stützen und Finger verweisen auf das Buch, das Wissen und Erkenntnis enthält, welche generiert, angeeignet und vermittelt werden können. Eine dieser Fingerhaltungen ist – so erfahre ich anhand des gegenüberliegenden Porträts von Johann Georg Roederer – eine typische Haltung der aufkommenden Geburtsmedizin. Mit ausgestrecktem Daumen und Zeigefinger wird die vaginale Untersuchung der Schwangeren durchgeführt und – wie die Abbildung in einem Buch zeigt – mithilfe einer Maßskala vermessen. Gerade diese Aufspaltung in handelndes, denkendes (männliches) Subjekt und zu vermessendes (weibliches) Objekt verdrängt das traditionelle Hebammenwissen und legitimiert die Entstehung der neuen medizinischen Teildisziplin sowie die Professionalisierung von Wissenschaft im Allgemeinen.
Take part!
Die Ausstellungssektion über die Silhouetten manifestiert diese beiden Seiten: Typologisierung einerseits und Individualität des Wissenschaftlers anderseits. Das Porträt – und mit ihm die Wissenschaft schlechthin – wird egalisiert, indem der Schattenriss mithilfe eines Storchenschnabels (Pantograph) von jedermann erstellt werden kann. Die Porträts können aber nicht nur reproduziert, sondern auch getauscht, gesammelt und besessen werden. Als Post- und Visitenkarten geraten sie in Umlauf und versprechen die Demokratisierung des Wissenserwerbs, der Ausweisung von Kennerschaft und von kulturellem Kapital.
Excluded!
Dies entpuppt sich schnell als ein Ver_sprechen, so ist der zentralen Themeninsel zu entnehmen. Unter dem Titel „Inklusion – Exklusion“ sind hier Beispiele von Grenzziehungen und Machtordnungen im akademischen Feld versammelt: Herrschende Geschlechterverhältnisse, die etwa Dorothea von Schlözer versagten, trotz Promotion eine akademische Karriere einzuschlagen, oder Universitätsmamsellen, die sich im Schatten ihrer Ehemänner wissenschaftlich betätigten. Sie sind die Ausnahmeerscheinungen, die die Regel bestätigen. Ihre Arbeit und Zeugnisse, ebenso wie jene der Handwerkerinnen, Technikerinnen oder Laborassistentinnen und schließlich, zur Zeit des Nationalsozialismus, jene jüdischer Gelehrter, bleiben ausgeschlossen aus der Repräsentation. In der Geschichtsschreibung werden sie marginalisiert. Es ist der Ausstellung hoch anzurechnen, dass es diese Machtmechanismen, die im Repräsentationsmodus selbst verankert sind, aufzuzeigen versucht. Weder die Zugänge noch die Inhalte von Wissenschaft können als neutral angesehen werden. Das Herstellen von Expertentum funktioniert aber gerade über die Verobjektivierung und Universalisierung von Erkenntnis. Wie lässt sich dieses Spannungsfeld ausstellen?
Die auf der Themeninsel ausgelegten Fallbeispiele liegen flach vor mir, ich muss mich über den Tisch beugen und mich gar über sie erheben. Sie erscheinen im Kontrast zu den aufrecht stehenden Porträts, die mir ein dominantes Gegenüber bieten, fast passiv und kleinteilig. Allzu leicht lassen sie sich so in eine historische Epoche verbannen, die wir heute überwunden zu haben glauben. Die Insel – ein gängiges gestalterisches Ausstellungsmittel und Charakteristikum des Museums selbst – betont indessen mehr Grenzen als Möglichkeiten der Überwindung. Vermag sie strukturelle Ungleichheiten zu veranschaulichen?
Fight it out!
Damit gelange ich in die letzten Ausstellungsbereiche, eine schwarze Wand, die mich dazu auffordert, über mein eigenes Porträt etwa auf der Website der Universität nachzudenken, aktuelle Formen der Selbstdarstellung auszumachen und sie auf der Schultafel neu zu sortieren. Dahinter verbirgt sich ein weiterer Raum mit Karikaturen, die sehr unterschiedliche Beispiele dafür zeigen, dass einmal gemachte Hierarchien verhandelbar und kritisierbar sind: der von seinem Schüler Gauß mit Rechenfehler gezeichnete Kästner, Dahlmann als Teufel, Hilberts Büste attackiert, mit rosa Farbe besprüht, vom Sockel geholt – und hier wieder auf den Sockel gebracht. Wie groß sind die Spiel- und Gestaltungsräume? Wie weit reicht Institutionskritik? Wer hat die Definitionsmacht?
Return to representation?
Am Ende der Ausstellung sehe ich auf großen schwarzen Postern aktuelle Fotoaufnahmen von Professorinnen und Professoren, betitelt unter anderem als Götterbotin, Urknaller, Luftretter oder Molekularköchin. Die Anordnung erlaubt mir einen direkten Vergleich mit der Ahnengalerie der Professoren am Eingang.
Verblüfft stelle ich eine ähnliche Ästhetik fest. Die Lehrenden sind vor schwarzem Hintergrund, standardisiert und entkontextualisiert abgebildet und mit einer Insignie, einem Objekt ausgestattet, das auf die jeweilige Disziplin verweist. Der Statik der Ahnengalerie ist jedoch eine fast filmisch anmutende Dynamik entgegengesetzt. Die kreative Wortneuschöpfung setzt auf ein Storytelling, deren Ausgestaltung meiner Phantasie überlassen wird. Statt Alter ist nun Jugend(lichkeit) der augenscheinliche Trumpf. Was auf den ersten Blick gendergerecht aussieht, blendet reale soziale Ungleichheiten und Grenzziehungen aus, etwa die schwierigen Bedingungen des überwiegend prekär und befristet angestellten Mittelbaus, Zugangshürden für Nicht-Akademikerinnen und -Akademiker, Barrieren für beeinträchtigte Menschen oder Kämpfe marginalisierter Studierendengruppen. Der Logik der Repräsentation scheinen wir – jedenfalls vorläufig – nicht so schnell zu entkommen.
Daniela Döring ist PostDoc und wissenschaftliche Koordinatorin am Promotionskolleg „Wissen / Ausstellen“, das die Präsentation von Erkenntnissen in Sammlungen und Museen erforscht.
Fotos: Christoph Mischke, Karsten Heck
Kugelpanorama durch die Ausstellung
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Ganz netter Text – wären da nicht die lächerlichen Anglizismen!
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