Ein großer schwarzer Klotz. Erhellt durch einen gelblichen Lichtkegel, der aus einer überdimensionalen mattsilbern glänzenden Schreibtischlampe herausleuchtet. Ein rätselhaftes Objekt, das sich den Besucher*innen des Forum Wissen trotzig in den Weg stellt.
Das Möbelstück ist Teil der Inszenierung des Raumes „Schreibtisch“, in dem es um die Schreibprozesse beim wissenschaftlichen Arbeiten geht: um das Abschreiben, Analysieren Zusammenfassen, aber auch um das verzweifelte Gefühl, wenn man vor dem noch weißen Blatt sitzt und nicht weiß, wie anzufangen. Und um das Schreiben, Verwerfen, erneute Ansetzen.
Bei letzterem kann man dem Besitzer des großen schwarzen Schreibtischs förmlich zuschauen. Es handelt sich um den Göttinger Juristen Rudolf von Jhering, der Rechtsgeschichte geschrieben hat.
Rudolf von Jhering – ein akademischer Gigant
„Er lebt schon lange nicht mehr, aber seine handschriftlichen Notizen, die im Forum Wissen unter einer Glasplatte ausgestellt sind, verraten viel über Jherings Persönlichkeit“, sagt der Rechtshistoriker Nikolaus Linder, der ausgiebig zu dem renommierten Juristen geforscht hat.
Aber eins nach dem anderen: Rudolf von Jhering lebte von 1818 bis 1892. Als Rechtswissenschaftler beschäftigte er sich vor allem mit dem Römischen Recht und hat das deutsche Privatrecht maßgeblich geprägt.
Ein Schreibtisch fürs Reisegepäck
Nach der Habilitation bekleidete Jhering Ordinariate an mehreren schweizerischen und deutschen Universitäten. Überallhin nahm er seinen geliebten schwarz lackierten Schreibtisch mit, sogar wenn er auf Dienstreise war. 1868 folgte ein Ruf nach Wien. „Dass der Ostfriese Jhering diesem Ruf Folge leistete, war eine Sensation“, sagt Linder, „der Krieg mit Preußen lag damals erst zwei Jahre zurück.“
„Die vier Jahre in Wien wurde Jhering gefeiert wie ein Star,“, so Linder weiter, „er wurde von Kaiser Franz Josef sogar in den Adelsstand erhoben.“ 1872 nahm er einen Ruf nach Göttingen an. Zum Abschied aus Wien hielt Jhering seinen berühmten Vortrag „Der Kampf ums Recht“, der in zwei Jahren zwölfmal aufgelegt und in 26 Sprachen übersetzt wurde.
„Jhering war ein akademischer Gigant, dessen war er sich selbst durchaus bewusst“, sagt Linder. „Nach seinem Tod blieb der Schreibtisch als Erinnerungsstück,“ so Linder, „als lebendiges Symbol eines großen Mannes.“ Lange Jahre stand der Schreibtisch in einem Seminarraum am Institut für Juristische Grundlagen im Alten Auditorium der Göttinger Universität.
Ein Gutachten, das große Mühen gekostet hat
Bei der ausgestellten Handschrift handelt es sich um ein Gutachten zu einem juristischen Fall, der Jhering vor ungewöhnliche Probleme stellte. Er hatte Zweifel, die ihn zu einem radikalen Umdenken bewegten.
Wie die meisten Juristen seiner Zeit war Jhering bis dahin davon ausgegangen, das System des römischen Rechts halte bei entsprechender wissenschaftlicher Anwendung Lösungen für alle denkbaren Rechtsfälle bereit. „Doch in dieser Ansicht wurde Jhering beim vorliegenden Fall erschüttert“, sagt Linder. „Daher das wilde Schriftbild seiner Notizen, vieles ist durchgestrichen, undefinierbare Kleckse zieren das Manuskript, er hat den Text nicht ruhig runtergeschrieben. Man kann ihm gewissermaßen beim Denken zuschauen.“
Jhering gilt als Erfinder der modernen Rechtsdogmatik, von ihm stammt u.a. die berühmte Rechtsfigur der „Culpa in contrahendo“. In die Kommission zum Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuchs, die erstmals 1874 einberufen wurde, hat er es dennoch nie geschafft, mit Aussprüchen wie „Der Gesetzgeber soll denken wie ein Philosoph, aber reden wie ein Bauer“ lag er zu weit entfernt vom juristischen Mainstream seiner Zeit.
1892 verstarb Rudolf von Jhering hier in Göttingen, er liegt auf dem Stadtfriedhof begraben.