Die Ausstellung „Präparierte Natur. Was wissenschaftliche Objekte verbergen“ ist eröffnet. Studierende der Kunstgeschichte und der Kulturanthropologie haben in einem interdisziplinären Seminar die Ausstellungspraxis von Museen und Sammlungen analysiert und hinterfragt. Mit den Ergebnissen haben sie nun eine eigene Ausstellung entwickelt, die einen Ausblick auf das Forum Wissen gibt. Wir waren bei der Ausstellungseröffnung dabei und sprachen mit den Ausstellungsmacherinnen über Irritationsmomente, Detektivarbeit und Kuriositäten in den Göttinger Sammlungen.
Studierende stellen aus
Der Ausstellungsraum ist gut gefüllt, als Margarete Vöhringer vom Kunstgeschichtlichen Seminar gemeinsam mit den Studierenden des Seminars “Materialität des Wissens“ die Schau eröffnet. Die Präsentation ist in fünf verschiedene Abschnitte unterteilt, die jeweils ein Sammlungsobjekt unter die Lupe nehmen. Die Objekte werden in einem ganz neuen ästhetischen Kontext präsentiert – eine Auseinandersetzung mit der gängigen Ausstellungspraxis. Selbstsicher und souverän referieren die Studentinnen über ihre Projekte.
Das Potwalskelett und ein Menschenschädel zu neuem Leben erweckt
Wiebken Nagel begleitete mit einer Kamera den Umzug des Walskeletts aus dem Zoologischen Museum. Auf diese Weise konnte sie neue Perspektiven festhalten, die man in der bisherigen Ausstellung des Wals nicht fand. Die Kulturanthropologiestudentin zeigt ihre Aufnahmen in einer Videoinstallation. Ganz nah führt sie die Betrachtenden an die Einzelteile. Details werden sichtbar, die in der Präsentation vorher verborgen geblieben waren: Schrauben, die das Skelett sonst zusammenhalten, erscheinen auf einmal im Blickfeld. So wird bewusst, dass die ausgestellte Natur vom Menschen konstruiert ist: Ein Haufen Knochen, der mühsam zusammengefügt und fixiert in der Ausstellung als heiles Skelett präsentiert wird.
Auch Jennifer Pötzsch befasst sich mit Knochenmaterial: Sie näherte sich einem Schädel aus der Blumbachschen Sammlung über eigene Zeichnungen an. Ihr Interesse gilt der Kulturgeschichte von Totenschädeln. Sie sind und waren Kultgegenstände, Kunstobjekte oder Forschungsobjekte in der modernen Wissenschaft. Heute können Forschende mit ihren Instrumenten und Methoden die Lebensgeschichte des verstorbenen Menschen hinter dem Schädel zu neuem Leben erwecken.
Science meets art
In einem Schaukasten liegt der Roman „Die Vermessung der Welt“ von Daniel Kehlmann neben getrockneten Pflanzen aus dem Göttinger Herbarium. Melina Wießler, Studentin der Kunstgeschichte und Literaturwissenschaften, verbindet in ihrer Anordnung gekonnt Dürer, Tucholsky und Kehlmanns Abenteuerroman mit einem 200 Jahre alten Herbarium – und reflektiert über das Beziehungsgeflecht zwischen Kunst und Wissenschaft. Hier verbinden sich die wissenschaftliche Sammel- und Dokumentationstätigkeiten mit kulturellen Erzeugnissen. Wießler interessiert sich dafür, wie Erzählungen und bildende Kunst das Bild der Forschung in der Öffentlichkeit prägen.
Natur und Kultur
Sonja Nökel ging der Objektbiographie eines Handschuhs aus Muschelseide nach, der aus der Zoologischen Sammlung stammt. Muschelseide stellte man seit der Antike aus dem Faserbart der Rauen Schinkenmuschel her, mit dem sich diese am Meeresboden festhält. Die Kunstgeschichtsstudentin interessiert sich vor allem für das Zusammenspiel von Natur und Kultur, das durch den fertigen Handschuh verdeckt wird: Hinter der bloßen Ansicht des Materials verbergen sich gleichsam der natürliche Stoff und dessen aufwändige Beschaffung und Verarbeitung durch den Menschen. Diese sichtbar zu machen, gelingt nur mittels Recherche und Beschreibung in der Ausstellung des Objekts.
Materialität des Wissens
Die Studierenden haben die Ergebnisse für ihre Ausstellung innerhalb des Seminars zu wissenschaftlichen Präparaten erarbeitet. „Im Mittelpunkt des ersten Semesters stand die Beschäftigung mit den Objekten sowie die Vermittlung theoretischer Kenntnisse zur Ausstellungs- und Sammlungspraxis“, sagt Vöhringer, Professorin für Materialität des Wissens. Zu ihrer interdisziplinären Professur gehört es, die Göttinger Sammlungen für Forschung und Lehre zu nutzen und zu untersuchen. Die Seminarteilnehmerinnen besuchten unter anderem die Zoologische Sammlung, die Blumenbachsche Schädelsammlung und das Herbarium. Sie begannen zu hinterfragen: Welche Objekte werden ausgestellt und warum? Wie werden sie präsentiert? Das führte zu Irritationsmomenten.
Nomen est omen?
Frauke Ahrens, Studierende der Kulturanthropologie, richtete ihr Augenmerk auf die wissenschaftliche Namensbezeichnung ausgestellter Objekte. Sie fragte sich, warum es aus naturwissenschaftlicher Perspektive kein Interesse an der historischen Namensentstehung gibt. „Im Bewusstsein der Forschung ist nur der aktuelle Name des Objekts von Interesse“, sagt Ahrens. Die Studentin stellt ein Korallenskelett aus der Zoologischen Sammlung aus, für das in der Fachwelt gegenwärtig drei verschiedene Namen kursieren. „Die Beschriftung von Gegenständen in Museen suggeriert, dass ihre Namen feststehen“ erklärt die Kulturanthropologin. „Das verschweigt den Prozess und die Widersprüche in der Namensgebung.“ Mit ihren Recherchen zeigt die Studentin exemplarisch an der Namensgeschichte ihrer Koralle die Wandelbarkeit von Forschungsergebnissen auf.
Museale Perspektiven
Die Projektleiterin ist sichtlich stolz auf ihre Studentinnen: „Alle haben sich sehr intensiv im Seminar eingebracht.“ Die Erkenntnis darüber, dass die Präsentation von Wissen auch immer die Perspektive der Ausstellungsmacher widerspiegelt, ist eines der didaktischen Lehrziele, auf das Vöhringers Seminar ausgerichtet war. „In dem Seminar habe ich gelernt, Ausstellungen mit anderen Augen zu sehen“, sagt Wießler. „Mir wurde bewusst, dass ein Museum uns immer die eigene kulturell geprägte Perspektive aufdrückt.“
Auf dem Weg zum Forum Wissen
Die erfolgreiche Ausstellung „Präparierte Natur“ gibt einen Ausblick auf Teile der Ausstellungspraxis des künftigen Forum Wissen: Studierende forschen an Objekten der Göttinger Sammlungen, können sich in der Ausstellungspraxis erproben und vermitteln die Entstehung des Wissens vom Beginn über Irrwege bis ans Forschungsziel – und auch das, so wissen die Studentinnen nun, ist nicht in Stein gemeißelt. Wer also wissen möchte, wie Ausstellungskonzepte im Forum Wissen aussehen können, sollte diese Ausstellung im Alten Auditorium, Raum 0.111, an der Weender Landstraße 2 nicht verpassen. Die Schau ist bis zum 30. März 2019 jeden 1. und 3. Sonntag des Monats von 11 bis 13 Uhr geöffnet.
Vielen Dank für den interessanten Artikel. Das ist bestimmt eine sehr interessante Ausstellung. Leider kann ich sie mir nicht mehr anschauen. Schöne Grüsse aus Osnabrück
Vielen Dank für das Interesse. 2020 eröffnen wir das Forum WIssen – das Wissenschaftsmuseum der Uni Göttingen. Dort wird es dann ähnliche Ausstellung geben.