Von Louisa Marie Hartmann und Eva Völker –
Welche Geschichten erzählt ein Smartphone? Welche Hoffnungen sind mit einem Paar abgelaufener Schuhe verbunden? Was bedeuten solche und andere Dinge für Menschen auf der Flucht? Wie kommt es, dass alltägliche Dinge so eine besondere Bedeutung bekommen? Unsere Sonderausstellung MOVING THINGS nähert sich den Themen Flucht und Migration, in dem sie einfache Dinge in den Fokus rückt.
Ein zentrales Objekt, das die Sonderausstellung untersucht, sind Schuhe. Diese unscheinbaren Alltagsgegenstände sind intime Zeugnisse von Flucht und Migration. Sind sie doch eng mit den Menschen verknüpft, die sie zum Schutz ihrer Füße trugen, während sie über Grenzen hinweg ihren Weg gegangen sind – oft trugen sie auch nicht nur die Menschen selbst, sondern auch ihre Hoffnung auf ein neues Leben, auf eine bessere Zukunft. Drei Fotografen haben ihren Blick auf die Schuhe von Geflüchteten und die ihnen eingeschriebenen Geschichten gelenkt.
Die Ausstellung widmet sich auch dem sinnlichen Thema Essen. Essen kann Verbindung schaffen zwischen Menschen, zum Beispiel wenn man zusammen kocht oder gemeinsam isst. Es kann aber auch zum Spannungsfeld werden, etwa wenn man sich an ungewohnte Kost und an festgelegte Essenszeiten gewöhnen muss. In Geflüchtetenunterkünften bewegen sich Migrant*innen zwischen Schutz und Fremdbestimmung – in kaum einem anderen Bereich wird das deutlicher als beim Thema Essen. Essen kann Menschen ausgrenzen, aber auch eine Brücke in die Heimat darstellen.
So etwas wie eine Brücke in die Heimat ist für viele Migrant*innen auch das Smartphone. Es ist häufig viel mehr als ein Kommunikationsmittel, verbindet es die Menschen, die unterwegs sind, doch mit allen und allem, was sie zurückgelassen haben – mit Familie und Freunden, mit der oft gehörten Lieblingsmusik. Das Smartphone wird so gewissermaßen zu einem Zuhause in der Hosentasche. MOVING THINGS wirft einen ganz neuen Blick auf diesen täglichen Begleiter.
Berührend ist auch das raumfüllende Schlauchboot, das so gezeigt wird, wie es 2017 von der Hilfsorganisation Sea Eye auf dem offenen Meer aufgefunden wurde – als graue, schlaffe Hülle, ohne Luft, ohne Leben, trieb es auf dem Mittelmeer. Wie viele Menschen an Bord waren, was aus ihnen geworden ist, darüber ist nichts bekannt. Das Boot ist Teil einer Kampagne der Seenotrettungsorganisation Seebrücke, die für sichere Fluchtwege, die Entkriminalisierung der Seenotrettung und eine humanitäre Aufnahme für Geflüchtete wirbt. In diesem Zusammenhang ist das Boot zum Ausstellungsobjekt geworden.
Einen sehr passenden Epilog zu MOVING THINGS bildet die künstlerische Arbeit HELPERS CHANGING HOMES von Yuka Oyama aus Berlin. Sie geht der Frage nach, wie man die Leere ausfüllt, die dadurch entsteht, dass man sein Zuhause verlassen hat. Dazu hat Yuka Oyama Menschen befragt, die wie sie selbst ein nomadisches Leben führen. Die Künstlerin kommt zu dem Ergebnis, dass es in erster Linie materielle Dinge sind, viel mehr als Kultur, ethnische Communities, Geschlechterrollen oder Traditionen, die den Menschen, die unterwegs sind, Stabilität und Identität schenken.
Die Ausstellung ist das Ergebnis des Forschungsprojektes „Zur Materialität von Flucht und Migration“, das von drei Verbundpartnern getragen wurde: dem Institut für Ethnologie der Georg-August-Universität Göttingen, dem Museum Friedland und dem Berliner Ausstellungsbüro Die Exponauten. Ausstellungen et cetera. Ausgangspunkt für das Projekt waren ethnografische Forschungen im Grenzdurchgangslager Friedland bei Göttingen. Die Wege der Recherche, die Gespräche und Begegnungen führten nach Moria und in die Türkei, nach Syrien und zu afghanischen Communities im Iran. In Göttingen laufen nun die Fäden zusammen. MOVING THINGS läuft noch bis zum 15.01.2023.
Unter dem Titel MOVING THINGS ist auch eine Publikation erschienen, die die Themen der Ausstellung zum Teil vertieft, zum Teil ergänzt. Das Buch ist online beim Wallstein Verlag erhältlich und in unserem Shop, direkt im Forum Wissen. Die Autor*innen schreiben über bewegte und bewegende Dinge im Kontext von Flucht und Migration und liefern Hintergrundinformationen zu den Ausstellungsthemen.