Ein Paradiesvogel, ein Medaillon, eine Taschenuhr, zwei Kauri-Schnecken – eine kuriose Zusammenstellung verschiedener Objekte, die vor düsterem Hintergrund zu leuchten scheinen. Das Stillleben aus dem 17. Jahrhundert stammt vom niederländischen Maler Nicolas Steenwijk. Offenbar beherrschte er seine Kunst: Die Gegenstände sind äußerst realitätsgetreu getroffen, sogar das Glas der Taschenuhr sieht täuschend echt aus.
Ein Gemälde als Anschauungsmaterial für eine naturkundliche Vorlesung
„In einem Stillleben ist der Paradiesvogel ausgesprochen ungewöhnlich, verweist wie Uhr und ebenfalls exotische Schnecken auf die Welt der Naturalienkabinette und gelehrten Bildung“, erklärt Dr. Anne-Katrin Sors, Leiterin der Kunstsammlung der Universität Göttingen. „Spannend ist das Gemälde vor allem deshalb, weil es von einem berühmten Naturforscher in seinen Vorlesungen verwendet wurde“, ergänzt sie.
Was Blumenbach und Schophenhauer mit dem “Paradiesvogel” zu tun haben
Bei dem Naturforscher handelt es sich um Johann Friedrich Blumenbach (1752-1840), der es in seinen Vorlesungen an der Universität Göttingen verwendete. Sein damaliger Student, Arthur Schopenhauer, der später als Philosoph bekannt wurde, erwähnte das Gemälde wiederum in seinen Mitschriften.
Nach Blumenbachs Tod gelangte das Gemälde in die Universitätskunstsammlung. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde es zusammen mit einer ganzen Reihe anderer Bilder zur Finanzierung des Kriegerdenkmals vor dem Auditorium der Georg-August-Universität Göttingen verkauft. Danach verlor sich die Spur des Gemäldes.
Detektivarbeit: Die Suche nach dem verschwundenen Gemälde
Ein aufmerksamer Mitarbeiter der Universität Göttingen nahm Jahrzehnte später die Spur wieder auf. 2016 las Dr. Alexander Gehler, Kustos der Geowissenschaftlichen Museums der Universität Göttingen, einen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Darin wurde berichtet, dass das Paradiesvogel-Gemälde in Köln versteigert wurde. Wohin das Gemälde genau ging, war nicht bekannt.
Nur ein Jahr später entdeckte Anne-Katrin Sors das Stillleben erneut auf einer der global wichtigsten Kunstmessen, der European Fine Art Fair in Maastricht. Von da an ließ sie der Gedanke nicht mehr los, das Gemälde zurückzukaufen.
Das wertvolle Gemälde kehrt in die Kunstsammlung der Universität Göttingen zurück
Anne-Katrin Sors schrieb diverse Stiftungen an, um die Finanzierung zu sichern. Mit Erfolg: Vor allem dank der Unterstützung der Kulturstiftung der Länder und der Ernst von Siemens Kunststiftung konnte die Kunstsammlung das Stillleben mit Paradiesvogel nun zurückerwerben.
Am 1. März 2024 wurde das Gemälde erstmals im Raum “Hörsaal” des Forum Wissen der Öffentlichkeit präsentiert. Prof. Markus Hilgert, Präsident der Kulturstiftung der Länder kommentiert: „Ich freue mich, dass es mithilfe der Förderung durch die Kulturstiftung der Länder in die Sammlung zurückkehrt.“
Ohne die beiden großen Stiftungen wäre der Kauf nicht möglich gewesen
„Die Ernst von Siemens Kunststiftung hat den letzten Schritt einer geduldvollen Detektivarbeit unbürokratisch unterstützt und somit die Rückführung dieses lang privat verwahrten Gemäldes in eine öffentliche Sammlung ermöglicht,“ freut sich Dr. Martin Hoernes, Generalsekretär der Ernst von Siemens Kunststiftung.
Das Forum Wissen: Ein interdisziplinäres Museum
Das Gemälde wird bis Ende 2024 im Forum Wissen als Beispiel vormodernen Zusammenwirkens von Kunst auf der einen und frühneuzeitlicher Naturforschung auf der anderen Seite gezeigt.
Ergänzt wird die Präsentation des Stilllebens im Forum Wissen durch eine Vitrine mit Objekten aus der Zoologischen Sammlung der Universität Göttingen und aus der Staats- und Universitätsbibliothek, die auf dem Gemälde dargestellt sind. Ein schönes Beispiel für die interdisziplinäre Ausrichtung des Forum Wissen.
Im Anschluss soll das Stillleben wieder zurück in die Kunstsammlung gelangen. Dort soll es weiterhin für die Öffentlichkeit zugänglich sein wird. Zudem wird es erneut eine Rolle in der Lehre spielen, denn das Gemälde wirft weiterhin zahlreiche Fragen auf. Dr. Anne-Katrin Sors: „Es fordert eine historische Einordnung und Suche nach Vergleichbarem, Nachdenken über die verwendeten Objekte, aber auch über den Maler und die zeitgenössische Produktion gelehrter Stillleben.“