In der Kunstsammlung der Universität Göttingen versammelt sich Wissenschaftlichkeit aus über 275 Jahren: Die Ausstellung “Face the Fact. Wissenschaftlichkeit im Portrait” zeigt, wie sich Persönlichkeiten des Universitätsbetriebes durch die Zeiten inszeniert haben. Sie führt von prätentiösen Ölgemälden über einfache Silhouettenschnitte und Totenmasken bis hin zu Gelegenheitsfotografien. Studierende der Kunstgeschichte haben die Schau unter Leitung der Zentralen Kustodie und der Kunstsammlung konzipiert und praktisch umgesetzt. Sie wird am 26. September 2018 eröffnet. Unser Autor Julian Schima war bei den Aufbauarbeiten der Ausstellung dabei.
Wer will fleißige Handwerkerinnen sehen?
Im Nordflügel vom zweiten Obergeschoß des Auditoriums herrscht munteres Treiben: Die Vorbereitungen zur Ausstellung sind in vollem Gange. Studierende sind mitten im Aufbau: Gelbe Infotext-Tafeln werden ausgeschnitten. Andererorts werden Bilder ausgerichtet, Vitrinen mit Objekten angeordnet. Die Malerarbeiten haben sie bereits in der ersten Woche vollendet. Es wird viel gelacht und diskutiert, überlegt und tatkräftig gebaut. Isabel Pagalies, Volontärin an der Zentralen Kustodie, begleitet die fleißigen Helferinnen, die ein dreiwöchiges Praktikum zum Ausstellungsaufbau absolvieren. Sie setzen um, was in einem Ausstellungsseminar im vergangenen Wintersemester von Studierenden der Kunstgeschichte gemeinsam mit der Zentralen Kustodie und der Kunstsammlung konzipiert wurde.
Wissenschaftlichkeit im Portrait
Die Ausstellung “Face the Fact” ist in Sektionen unterteilt, die Bilder von Professorinnen und Professoren in verschiedenen Epochen und Medien zeigen. Sie zeichnet die Beständigkeit und den Wandel in der gelehrten und universitären Selbstpräsentation nach. Mit den Medien verändert sich auch die Inszenierung: von aufwendigen Ölgemälden und Marmorbüsten des 18. und 19. Jahrhunderts über Druckgrafiken bis hin zu Fotografien des 21. Jahrhunderts. Gleich bleibt: Wissenschaftlichkeit wird in Szene gesetzt. Die Attribute der Gelehrten tauchen auf: Instrumente, Schreibutensilien, Bücher. Kleidung verändert sich im Laufe der Zeit, gewisse Posen wiederholen sich aber: der Denker, der Experimentator oder der geehrte Würdenträger. Mit den ersten Frauen als Professorinnen werden neue Themen erschlossen: es geht um Inklusion und Exklusion – wer gehört dazu, wer nicht.
Studierende planen eine Ausstellung
Jede der verschiedenen Sektionen der Ausstellung wurde von jeweils einer Teilnehmerin des Seminars konzipiert. Die ausgestellten Stücke stammem aus den Sammlungen und Instituten der Universität Göttingen. Die Studierenden haben selbstständig recherchiert und die Göttinger Sammlungen besucht, um die Objekte zu sichten und auszuwählen.
Totenmasken aus dem Museum der Chemie
Nataša Rupar schaute sich im Museum der Göttinger Chemie zum Beispiel die Totenmasken ehemaliger Professoren an. “Das war sehr unkompliziert”, freut sie sich. Der Kustos der Sammlung, Dr. Ulrich Schmitt, lud sie am Telefon ein, direkt vorbeizukommen und führte sie durch die Sammlung. Natürlich auch zu den Totenmasken, die zurzeit nicht öffentlich ausgestellt werden. “Man kann an jeder Maske eine andere Persönlichkeit ausmachen”, sagt die Kunstgeschichtsstudentin. Isabel Pagalies ergänzt, dass die Gelehrten einst die Masken verehrter Professoren und Forscher auf ihren Schreibtisch legten. Sie wollten so mit ihm intellektuell verbunden sein und hofften, die Anwesenheit der Maske inspirierte den eigenen Forschergeist.
Schnappschüsse
Henriette Roth übernahm die Planung für die Sektion der Amateurfotografien, wofür sie in den Archiven der Universitätsbibliothek und der Ethnologie recherchierte. Die Aufnahmen aus den 30er bis 70er Jahren wurden etwa bei Instituts- oder Weihnachtsfeiern gemacht. “Auf einmal erscheinen Universitätsangestellte auf der Bildfläche, die mit der eigentlichen Produktion von Wissen nicht unmittelbar in Kontakt stehen”, sagt Pagalies. “Dazu zählen zum Beispiel Verwaltung- und Reinigungskräfte, die durch ihre Arbeit einen wichtigen Teil zur Forschung und Lehre an der Universität beitragen.”
Worten folgen Taten
Beide, Roth und Rupar, nehmen jetzt an dem Anschlusspraktikum zum Ausstellungsseminar teil. Im Praktikum lernen sie alles über die Präsentation der Objekte und setzen diese auch um. “Die Arbeit im Seminar wird auf diese Weise konsequent zu Ende gedacht”, sagt Rupar. “Die praktische Umsetzung der eigenen Planung ist spannend und ergänzt den Blick.” Hier rückt die Materialität der Ausstellungsstücke in den Vordergrund und deren Ästehtik. “Man komplementiert so die rein geisteswissenschaftlichen Erkenntnisse, die vorher erarbeitet wurden”, findet Roth. Rupar ergänzt: “Besonders bei den Totenmasken stellte sich mir die Frage: Darf man sie als Kunstobjekte präsentieren? Wie sollten sie beleuchtet werden? Wie sensibel muss man mit solchen Objekten umgehen?”
Freiraum im Forum Wissen
Die Studentin Alina Stoll leistet wie viele andere das dreiwöchige Praktikum zum Aufbau der Ausstellung, ohne vorher an dem Austellungsseminar teilgenommen zu haben. “Mein Lernplan ließ das leider nicht zu”, gibt sich die Praktikantin enttäuscht. “Hoffentlich bietet sich in meinem Studium noch mal die Gelegenheit, auch den ersten Schritt der Konzeption mitzugehen.” Sie schielt dabei auf die Eröffnung des Forum Wissen 2020. Hier wird es den “Freiraum” geben. Einen Ausstellungsort, an dem Studierende ihre Ideen planen, erproben und durchführen können.
Ausstellung goes digital
In einem anderen Flügel der Kunstsammlung beleuchten helle Strahler eine weiße Unterlage, auf der ein Käfer aus der Forstzoologischen Sammlung in Szene gesetzt wird. Hier werden die Objekte digitalisiert. Eine Kamera überträgt die Bilder direkt auf einen Laptop, um den herum zwei Praktikantinnen und ein Praktikant stehen. Sie diskutieren eifrig, wie das Digitalisat am besten die charakteristischen Merkmale des Ausstellungsstücks wiedergeben kann. Wiederholt ändern sie den Lichtwert und den Fokus. So lichten sie Objekt für Objekt immer wieder aus anderen Perspektiven ab, bis endlich die Schokoladenseite gefunden ist. Historische Bücher, Postkarten, Visitenkarten, Medaillen – alles wird digitalisiert. “Besonders spannend war die Digitalisierung der Büste des Mathematikers David Hilberts”, sagt Nikos Walburger, der ein Praktikum in der Zentralen Kustodie mit dem Schwerpunkt Digitalisierung absolviert. An ihr finden sich noch Spuren der jüngeren Universitätsgeschichte: Während der Besetzung des Aulafoyers bei den Protesten gegen die Studiengebühren 2009 wurde sie aus dem Fenster geworfen. “Den Dreck, den sie davontrug, kann man noch immer sehen.”
Zur Eröffnung von “Face the Fact” liegt ein digitaler Katalog statt einer Printausgabe vor: ein virtueller Rundgang durch die Ausstellung. Neben den Objekten und Portraits sind alle Infotexte rund um die Präsentation online einsehbar. “Die Studierenden haben – wenn sie wollen – zudem die Möglichkeit, ihre Seminararbeit zu der von ihnen erarbeiteten Sektion in einer PDF-Datei hinzuzufügen”, sagt Karsten Heck. “Somit haben sie gleich die Gelegenheit, ihre wissenschaftlichen Texte der Öffentlichkeit zu präsentieren.” Der Referent der Zentralen Kustodie für Sammlungsmanagement mit dem Schwerpunkt Digitalisierung und Datenbanken berät die Praktikanten bei der Digitalisierung. Die hier entstehenden Digitalisate werden außerdem dem Bestand des Göttinger Sammlungsportals zugeführt.
Endspurt bis zur Eröffnung
Zurück im Nordflügel wird gerade die Titelschrift der Ausstellung und das Portrait von Abraham Gotthelf Kästner an einer gelben Wand angebracht. Ilka Jacobus, Raumdesignerin der Ausstellung, und Christian Vogel, Referent für Wissensforschung der Zentralen Kustodie, packen dabei tatkräftig mit an. Es wird das erste sein, das die Besucherinnen und Besucher von “Face the Fact” sehen werden. Wir können es schon kaum erwarten.
Die Ausstellung läuft vom 27. September 2018 bis zum 3. März 2019 und wird mit zahlreichen Vorträgen und Aktionen begleitet.
Internet
www.uni-goettingen.de/face-the-fact
Öffnungszeiten
Donnerstag und Freitag: 16 – 20 Uhr
Samstag: 14 – 18 Uhr
Sonntag: 10 – 16 Uhr
Eintritt
Donnerstag bis Samstag: frei
Sonntag: 3 €/1,50 € (inklusive Daueraustellung der Kunstsammlung)
Studierende und Beschäftigte der Universität Göttingen sowie Kinder bis 12 Jahren: frei
Kostenfreie Führungen (max. 20 Personen)
Samstag: 16 Uhr
Sonntag: 14 Uhr