Glas ist überall um uns herum. Nicht wegzudenken aus dem Alltag, macht es für uns – zum Beispiel als Fensterscheibe, Trinkglas oder Smartphone-Screen – Dinge sichtbar und fasziniert uns in kunstvoll gestalteten Skulpturen und Gebäuden. Doch für seinen Nutzen bezahlt das Material einen hohen Preis. Oft nehmen wir das Allrounder-Material nämlich gar nicht wahr. Selten hat man Anlass, über die bekanntesten Erscheinungsformen von Glas zu reflektieren.
Eine Gelegenheit dazu bietet nun die Ausstellung „Vorsicht! Glas! Perspektiven auf ein (un)sichtbares Material“, die ich gemeinsam mit elf weiteren Studierenden der Philosophischen Fakultät über zwei Semester erarbeiten konnte. Wir wollten einen Raum schaffen, in dem allein Glas den Fokus bildet. Dabei stehen nicht nur typische Glasdinge wie Trinkgläser oder Flaschen im Mittelpunkt, sondern gläserne Objekte aus verschiedensten Disziplinen und Sammlungen der Universität Göttingen.
Aktualität eines alten Materials
Obwohl auch ich Glas im Alltag oft nicht wahrgenommen habe, ist es besonders in Nachhaltigkeitsdiskussionen schon lange ein großes Thema. Die UN haben 2022 offiziell zum „Internationalen Jahr des Glases“ ausgerufen, um das Material zu feiern, das uns bereits seit 9000 Jahren begleitet. Fähig, aus wenigen Ausgangsstoffen hergestellt und danach endlos recycelt zu werden, gilt Glas als ein Musterbeispiel für nachhaltige Ressourcen. Ungeachtet bleibt aber oft, dass der Energieaufwand und die Umweltbelastung für die Einschmelzung erheblich sind. Zudem ist die Glasproduktion von den steigenden Energiepreisen und der Sandknappheit betroffen, so dass Glas bald deutlich kostspieliger werden könnte. Gerade diese aktuelle Dimension war uns als kuratorischem Team in der Auseinandersetzung mit dem Material wichtig. Auch haben wir uns gefragt, welche Verwendungen findet der Stoff, woraus besteht er, was leistet er für uns?
Eine Welt aus Glas
Als unser Ausstellungsseminar begann, konnte ich beobachten, wie ambivalent meine eigene Haltung gegenüber dem Material Glas war. Ich dachte zuerst an ein massengefertigtes Produkt, das jede*r besitzt; etwas Glattes, Kaltes, Farbloses ohne besonderen Charme. Doch während des Seminars und unseren Recherchen wurde mir die hohe Funktionalität, der gesellschaftliche Wert und die vielfältige Ästhetik von Glas immer deutlicher. Längst ermöglicht uns das Material Schutz vor Hitze und Kälte, lässt unsere Lampen leuchten und sorgt in Glasfaserkabeln für schnelleres Internet.
Auch in unserem Studierendenalltag, zum Beispiel beim Abend mit Freunden, ist Glas nicht wegzudenken, hellen sich doch beim Anblick von Bierflasche, Weinglas und Co. alle Mienen auf. Als Studierende der Kunstgeschichte faszinieren mich besonders Glasarchitekturen und Glasskulpturen mit ihrem Potential, verschiedenste Formen und Anmutungen anzunehmen. Mit der Erarbeitung der Ausstellung wurde uns (glas)klar: Unsere moderne Gesellschaft besteht gewissermaßen aus Glas.
Glas in den Naturwissenschaften
In den Naturwissenschaften ist Glas unter anderem für die Erforschung von chemischen und physikalischen Phänomenen wichtig. Mithilfe von Glas können Chemiker*innen beispielsweise in der Spektralanalyse weißes Licht in seine unterschiedlichen Farben zerlegen und so eine Elementprobe auf ihre chemische Zusammensetzung untersuchen, da jedes chemische Element ein charakteristisches Lichtspektrum aufweist. In der Ausstellung kann das dafür eingesetzte Bunsen-Spektroskop aus dem Museum der Göttinger Chemie ausprobiert werden.
Im Themenraum „Glas als optisches Medium“ werden deshalb die sonst unsichtbaren Bestandteile vieler wissenschaftlicher Instrumente sichtbar gemacht. Für die Ausstellung aus ihrer gewöhnlichen Forschungs- oder Sammlungsumgebung herausgelöst, können Mikroskope und Ferngläser im Querschnitt sowie Linsen betrachtet und verglichen werden. Wir wollten zeigen, wie Licht dank Glas gebündelt und gebrochen sowie kleine und weit entfernte Dinge vergrößert werden können.
Ein zuverlässiges Material, das die Zeit überwindet
Glas und die vielen Formen seiner Herstellung und Bearbeitung gehören zu den ältesten Kulturtechniken. Seit 9000 Jahren wird das Material vom Menschen verwendet – ob als transparentes Flachglas, wie wir es in unseren modernen Fensterscheiben kennen, ob farbig wie in Buntglas-Kirchenfenstern oder als hauchdünne Schicht wie in der grünblauen Glasur eines altägyptischen Uschebtis. Diese über 2000 Jahre alte keramische Kleinplastik aus der Göttinger Sammlung der Ägyptologie ist ein Beispiel für Glas als Massenware schon im Alten Ägypten, denn sie sollte die Toten als Grabbeigabe vor der Feldarbeit im Jenseits schützen.
Meine Co-Kurator*innen und ich hoffen, dass wir den Besucher*innen neue Perspektiven auf diesen faszinierenden Stoff eröffnen können. Noch bis zum 11. Dezember 2022 steht die Ausstellung „Vorsicht! Glas! Perspektiven auf ein (un)sichtbares Material“ in der Kunstsammlung des Auditoriums in der Weender Landstr. 2 in Göttingen immer sonntags allen offen, die sich für die vielen Fragen rund um Glas interessieren. Am 11. Dezember 2022 um 14 Uhr wird Dr. Michael Schwerdtfeger vom Alten Botanischen Garten der Universität Göttingen den Vortrag „Paradiese unter Glas – Botanische Gärten und ihre Gewächshäuser“ im Hörsaal Audi 11 des Auditoriums halten und die Finissage zur Ausstellung einleiten.
Fotos: Katharina Haase