Die Ausstellung „Rassismus. Die Erfindung der Menschenrassen“ im Dresdener Hygienemuseum ist am 6. Januar 2019 nach mehr als einem halben Jahr zu Ende gegangen. Melina Wießler spricht im Rahmen des Werkstattgesprächs „Ausstellen, was man nicht zeigen darf“ für den Forum Wissen-Blog mit Kuratorin Susanne Wernsing über Strategie und Resümee ihrer Arbeit.
Frau Wernsing, das Thema „Rassismus“ ist kein einfaches. Wie haben Sie sich mit den komplexen Sachverhalten und Konflikten auseinandergesetzt, die da auf Sie zukamen?
Susanne Wernsing: Die Ausstellung setzt sich mit der Erfindung von sogenannten Menschenrassen auseinander. Das Thema Rassismus ist mit einem großen Potenzial an Kontroversen und Konflikten beladen und wird mit einem hohen emotionalen und ethischen Anspruch diskutiert. Wenn ich sagen würde, mein Ziel wäre, die weiße Mehrheitsgesellschaft zu sensibilisieren, dann so, dass am Ende klar ist: Ärmel hochkrempeln und handeln. Ich versuche, Argumente zu liefern, mit denen man politisch handlungsfähig ist.
Kuratorinnen und Kuratoren geraten in die Fallen der Affirmation, wenn sie etwa Rassismus, seine Bilder oder Werkzeuge zeigen und ihn so wiederholen. Es lässt sich noch so oft kritisch betonen: Wir zeigen rassistische Witze, wir zeigen rassistische Bilder, um sie dann zu dekonstruieren. Das, was aber am Ende hängenbleibt, ist genau dieser rassistische Witz, dieses rassistische Bild. Es ist wichtig, das zu vermeiden. Ich habe das nicht an einzelnen Objekten abgehandelt, sondern solche Objekte gar nicht gezeigt, oder eben ‚gerahmt‘. Das heißt einerseits zu verdeutlichen, wie propagandistische, diffamierende Bilder hergestellt werden, oder andererseits exemplarisch offenzulegen, wer die abgebildeten Personen sind. Ich enthalte gewisse Informationen vor und gebe dafür andere, als man zu erhalten gewohnt ist.
Der Knackpunkt bei der Ausstellungskonzeption lag darin, dass das Ausstellungsteam weiß, bürgerlich und überwiegend deutsch-muttersprachig besetzt war. Das war eine institutionelle Entscheidung. Erst ab Mitte 2017 konnte ein Expertenkreis etabliert werden, der sich kritisch mit Rassismus in Wissenschaft und Bildungsarbeit beschäftigte. Diese Personen hatten überwiegend selbst Erfahrungen mit Alltagsrassismus erlebt und vertraten eine entsprechend aktivistische Position.
Welche konkreten Strategien haben Sie genutzt, um Affirmationen, also Bejahungen, des Rassismus zu vermeiden? Wie hat der Expertenkreis bei der Konzeption interveniert?
Wenn ich mit Irritationen und Ambivalenzen arbeite, Objekte neu kontextualisiere, zu Exponatgruppen montiere und Interventionen mit einbeziehe, kann ich traditionelle Sehgewohnheiten brechen. Vor Wachsabformungen aus der Kriminalanthropologie haben zwei Künstlerinnen und Künstler Tücher mit aktivistischen Texten angebracht. Sie zeigten den großen Zusammenhang zwischen der Zuschreibung von Verbrechertypen und den Vernichtungsaktionen im Nationalsozialismus. Typenbildung und Profiling sind in der heutigen Kriminalistik immer noch rassistisch. Wir haben emanzipatorische Filmprojektionen, etwa von VV Brown, und fotografische Arbeiten, wie die über Toni Morissons Dreadlocks gezeigt.
Gegenbilder sollten den Besucherinnen und Besuchern bewusst machen, dass nicht nur wir uns ein Bild von den ‚Anderen‘ machen, sondern der oder die konstruierte ‚Andere‘ sich über uns eines macht und uns dabei auch auslacht. Es gab ein Objekt, das heute als ‚Kolonfigur‘ bekannt ist: eine Darstellung europäischer Körperhaltung, Herrschaftsposen und Attribute aus der Perspektive der Kolonisierten.
Ironie, Satire und Humor sind gute Kampfmittel: Wenn ich die Fehlschlüsse, Widersprüche und Ideologien von Rassentheoretikern aus dem 19. Jahrhundert darlegen und bloßstellen kann, mache ich das sofort. Mich stört die Angst, die sogenannte weiße Mehrheitsgesellschaft zu brüskieren. Oft heißt es: Das ist gefährlich, das kann missverstanden werden. Objekte werden aber laufend missverstanden; die anderen Objekte sind auch nicht eindeutig.
Zu einer Kooperation mit dem Expertenkreis hat sich die Institution erst spät durchgerungen. Sie hat zugesagt, dass sie eigens ausgewiesene – weder zensierte noch redigierte – Texte in der Ausstellung platzieren oder Objekte durch Installationen kommentieren werde. Vor allem ‚sensible Objekte‘ aus den kolonialen Kontexten von Anthropologie und Ethnologie haben wir kritisch diskutiert und deren ‚Zeigbarkeit‘ ausgelotet. Auf Intervention der Gruppe hin wurde zum Beispiel der Ausstellungstitel geändert, der jetzige Titel stammt aus deren Kreis.
Hatten stadtpolitische Diskurse – gerade in Dresden – Einfluss auf die Ausstellung? Wie steht es um den Bezug zur aktuellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklung?
Die Konsequenz aus der in den ersten drei Räumen ausgestellten Wissenschaftsgeschichte, der Geschichte des Deutschen Hygiene-Museums und des deutschen Kolonialismus muss aus meiner Sicht die Frage sein: Was kann angesichts der aktuellen Konjunkturen des Rassismus gezeigt werden? Wie ist darauf zu reagieren? Wo sind Modelle zu finden, die Orientierung bieten? Dazu gehören aus meiner Sicht die politischen Strömungen in Dresden und, allgemeiner, der Anstieg von rassistischer Aggression seit den Neunzigern, aber auch Gegenmodelle, kritische Emanzipationsbewegungen seit den 1960er Jahren und deren Ausdruck in Populärkulturen.
Der abschließende vierte Ausstellungsraum, der sich mit der Gegenwart beschäftigen sollte, wurde von Seiten des Museums gesteuert und beauftragt. Inwieweit man als Projektleiterin und freie Kuratorin Ideen und Haltungen, aber auch die Vorgaben des Museums umsetzen kann und muss, ist natürlich auch mit der politischen Situation verbunden. Für den vierten Raum gab es eine schwierige Anforderung an den Gestalter der Ausstellung, Francis Kéré: Machen Sie einen Raum für Filmprojektionen (an den Rändern) und für kontroverse Diskussionen zwischen den Besucherinnen und Besuchern (in der Mitte). Dies wurde mit der architektonischen Skulptur des Büro Kéré gelöst.
Eine Darstellung und Auseinandersetzung mit der politischen Gegenwart kommt aus meiner Sicht in der Ausstellung zu kurz. Ich habe versucht, solche Aktualisierungen in den drei ersten eher historisch argumentierenden Räumen mit aktuellen Objekten und Installationen zu ergänzen. Ich habe nach der Eröffnung nicht selten gehört, dass man der Ausstellung ihre Konflikte ansähe; das ist doch eigentlich gut. Für mich ist das eine wichtige Aussage zum Thema Rassismus: dass an Kontroversen, Konflikten und Streit nicht vorbeizukommen ist. Auch in so einem Ausstellungsprojekt sind sehr unterschiedliche Akteure mit unterschiedlichen Positionen beteiligt, um die verhandelt und gestritten wird. Es geht bei diesen Kontroversen ja nicht um das einzelne Museum und einzelne Personen und Haltungen, es geht mir um Modelle gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse: zwischen Institutionen, zivilgesellschaftlichen Akteuren und Aktivisten. Ich betrachte Ausstellungen als Ereignis, bei dem das Ausstellungsthema ausgehandelt und aufgeführt wird. Dazu gehört nicht nur die Rezeption durch die Besucherinnen und Besucher, sondern eben auch die Konzeptionsphase.
Frau Wernsing, vielen Dank für das Interview!
Susanne Wernsing ist Historikerin und freie Kuratorin. Zurzeit arbeitet sie an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin im Forschungsprojekt „SAMMELN ERFORSCHEN. Geschichte und Aktualisierung der Göttinger Universitätssammlungen im Kontext museumstheoretischer und ethnologischer Diskurse“, einer Kooperation mit der Zentralen Kustodie der Universität Göttingen, die von der Volkswagen Stiftung gefördert wird.
Melina Wießler ist wissenschaftliche Hilfskraft am Forschungskolleg „Wissen | Ausstellen“.